SPIEGEL ONLINE - 26. März 2004, 10:13
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Zwangsprüfung für Bummelstudenten
 
Klausurvermeider zum Rapport!

Die TU Berlin verordnet ihren Studenten eine neue Medizin gegen das Zauder-Syndrom: Zwangspauken. Wer sich nicht schnell genug zu Klausuren anmeldet, bekommt das von der Uni abgenommen - und muss dann wohl oder übel lernen. Sonst droht die Exmatrikulation.

Prüfungsstress: "Ständige Fortschrittskontrolle"
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Prüfungsstress: "Ständige Fortschrittskontrolle"
Professoren der TU Berlin finden, dass Berliner Dauerstudenten es gut haben: Die Nestwärme der Alma mater bleibt ihnen auch dann erhalten, wenn sie eigentlich längst flügge geworden sind. Die Hörsaal-Hocker dürfen nämlich nicht wegen Überschreitung bestimmter Studienfristen exmatrikuliert werden, sie müssen sich lediglich nach dem sechsten Semester in einer Zwangsberatung rechtfertigen. Nur wer wiederholt durch eine Prüfung rasselt, kann von der Uni fliegen - und das dauert.

Das soll sich nun ändern, zumindest für die Elektrotechniker und Informatiker an der Technischen Universität (TU). Der für sie zuständige Fakultätsrat hat am 17. März eine neue Studien- und Prüfungsordnung beschlossen - mit den Stimmen der Professoren, aber gegen die Voten der Studentenvertreter, des akademischen Mittelbaus und der sonstigen Mitarbeiter. Der Inhalt: Wer sich nicht rechtzzeitig für Klausuren und Scheine während des Studiums anmeldet, bekommt diese Arbeit von der Uni abgenommen. "Bitte umgehend antreten", heißt es dann, und nach dem zweiten Fehlschlag "Auf Wiedersehen". Auch andere Fakultäten denken verstärkt über solche Maßnahmen nach.

Erstsemester zum Vorsprechen

"Bislang durften Studierende drei Jahre mitlaufen, ohne ernsthaft zu studieren", sagt Hans-Ulrich Heiß, TU-Professor für Kommunikations- und Betriebssysteme und Vorsitzender der Ausbildungskommission. "Das merkte niemand, bis sie dann nach dem sechsten Semester zur Zwangsberatung mussten."

Protestierende TU-Studenten: "Die Uhr tickt"
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Protestierende TU-Studenten: "Die Uhr tickt"
Viel zu spät, findet Heiß. Nach der neuen Prüfungsordnung sollen zaudernde Studenten schon nach dem ersten Jahr zum Rapport beim Mentor, einem Professor ihres Faches. "Ständige Fortschrittskontrolle" heißt das Bewertungsinstrument: Ab dem ersten Semester sollen Studierende durch eine Anzahl von Leistungspunkten pro Studienjahr ihre Fähigkeiten nachweisen. Die Messlatte liegt bei 60 Leistungspunkten pro Jahr. Wer durch seine Studienleistungen weniger als 40 Punkte sammelt, muss zum Vorsprechen.

In der Beratung verdonnert der Mentor den säumigen Studenten dazu, die fehlenden Leistungsnachweise binnen eines Jahres zu absolvieren; wer einmal durchfällt, hat noch eine Chance. Bei begründeten Ausnahmen kann die Anzahl der zu erreichenden Leistungspunkte allerdings gesenkt werden, auch Urlaubssemester sind möglich.

Indem die TU die Studenten im Grundstudium an die kurze Leine nimmt, will sie die Studienzeiten verkürzen und die Abbrecherquote verringern. Bislang hält nur jeder zweite Studienanfänger in Elektrotechnik oder Informatik laut TU-Statistik auch wirklich bis zum Ende durch, eine Zahl, die etwa dem Bundesdurchschnitt in diesen Fächern entspricht. Die Studiendauer in Informatik liegt an der TU im Schnitt bei 14 Semestern, in Elektrotechnik bei 15.

Pauken statt Tüfteln

"Wir wollen frühzeitig erkennen, ob und wo jemand Probleme im Studium hat", sagt Hans-Ulrich Heiß. Die Regelung sei zudem gerecht, weil auch langsame Studenten ihre Chance erhielten.

Studentenvertreter wehrten sich allerdings bis zuletzt gegen die Neuregelung und wollen sie weiter bekämpfen. "Die Studierenden sind nicht mehr in der Lage, beispielsweise neben dem Studium zu arbeiten, wenn sie ihre wirtschaftliche Lage dazu zwingt", sagt Björn Bollensdorff, Mitglied der "Freitagsrunde". Die hochschulpolitische Initiative von TU-Informatikstudenten ist im Fakultätsrat vertreten. "Außerdem will ich selbst entscheiden, wann ich mich fit für eine Prüfung fühle", so Bollensdorff. Das sei vor allem bei manchen sehr harten Prüfungen im Grundstudium mit Misserfolgs-Quoten von bis zu 50 Prozent wichtig.

Das Studium müsse eine "Tüftler-Werkstatt" sein und nicht eine "Fabrik", fordert die "Freitagsrunde". Wahlfreiheit und freie Zeiteinteilung müssten, soweit sie noch bestehen, erhalten werden. Eine Verkürzung des Zeitbudgets würde die Abbrecherquote eher erhöhen als senken.

Vom Zeitpunkt der Zwangsanmeldung werde der Druck erheblich steigen, prophezeit die Initiative. "Jetzt fängt die Uhr an zu ticken", heißt es auf ihrer Webseite, "Du musst die Prüfungen innerhalb eines Jahres bestehen, sonst bist Du exmatrikuliert und darfst nirgendwo in Deutschland mehr Informatik studieren."

Vorerst haben die Tüftler noch nichts zu befürchten: Die Vorlage muss noch mehrere Gremien passieren und wird wohl nicht so schnell in Kraft treten.

Von Jan Friedmann
 

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